Gallery Weekend Berlin

Durch Mitte mit Enuma Okoro

Rund um die Auguststraße im Stadtteil Mitte ballen sich die Galerien. Aber auch im benachbarten Prenzlauer Berg gibt es künstlerisch einiges zu entdecken – und auf dem Weg liegen historisch bedeutsame Kirchen

Von Lisa Zeitz
30.04.2025
/ Erschienen in Weltkunst Nr. 240

Treffpunkt Pfefferberg. Als die Schriftstellerin Enuma Okoro vor einem Jahr nach Berlin kam, wohnte sie in Prenzlauer Berg, hier wollen wir unseren „Art Walk“ an dem alten Brauereigelände beginnen. Vom Haupteingang an der Schönhauser Allee geht es ein paar Stufen hinauf, vorbei an einem graffitiverschmierten Brunnen. Das Areal ist nach dem bayrischen Braumeister Joseph Pfeffer benannt, der hier schon 1841 einen Biergarten betrieb – immer noch kann man bei gutem Wetter lauschig unter alten Kastanien sitzen.

Selfie von Enuma Okoro und Lisa Zeitz in der Ackerstraße. Foto: © Lisa Zeitz
Selfie von Enuma Okoro und Lisa Zeitz in der Ackerstraße. Foto: © Lisa Zeitz

Hinter dem Biergarten, wo übrigens ab Pfingsten wieder regelmäßig Tango getanzt wird, liegt das Aedes Architekturforum mit seinen Ausstellungssälen. Um die Ecke finden wir unter dem hoch aufragenden Schornstein einen Ableger der Galerie Neugerriemschneider. Sie ist mit rund sechzig Mitarbeitenden eine der prominentesten deutschen Galerien und hat Kunstschaffende wie Ai Weiwei im Programm. Der chinesische Künstlerstar lebt seit einigen Jahren eigentlich in Portugal, aber sein riesiges Atelier in unterirdischen Gewölben der ehemaligen Brauerei hier auf dem Pfefferberg hat er behalten.

Neugerriemschneider zeigt in einem historischen Maschinenraum, umgeben von hohen Rundbogenfenstern, zum Gallery Weekend eine neue Installation von Olafur Eliasson. Der isländisch-dänische Künstler hat es nicht weit: Gegenüber ist in einem burgähnlichen historistischen Backsteinbau – mit Zinnen! – sein Studio mit einem 100 Köpfe starken Team angesiedelt, zudem das von ihm ins Leben gerufene Studio Other Spaces (SOS), das sich auf experimentelle Bauprojekte konzentriert. Enuma Okoro hat letztes Jahr eine Gruppenausstellung bei Hauser & Wirth in New York kuratiert und dabei auch ein Werk von Olafur Eliasson integriert. „Ich liebe den kuratorischen Prozess“, sagt sie, vor allem, wie es dabei um die Konversation zwischen den Werken gehe, zwischen der Kunst und den Besuchenden, aber auch den Besuchern untereinander – gerade über diesen letzten Punkt, sagt sie, müsse man mehr nachdenken. „Kunst kann Verbindungen zwischen Menschen ermöglichen.“

Tchoban Museum
Der Pfefferberg mit dem markanten Bau des Tchoban Museums für Architekturzeichnung. © Martin Krebes

Nebenan sehen die Etagen des Tchoban-Museums aus wie leicht versetzt gestapelte Kartons. Die Motive auf ihren Betonoberflächen verraten, worum es im Inneren geht: Architekturzeichnungen vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Wir treten ein, um die Skizzen des amerikanischen Postmodernisten Steven Holl (bis 4. Mai) zu betrachten. Okoro bleibt bei einem Entwurf für eine Kirche in Seattle stehen. „St. Ignatius!“, ruft sie aus. Der Jesuitenorden spielt auch in ihrem Leben eine Rolle, denn sie hat sich nach dem Theologiestudium als „Spiritual Director“ ausbilden lassen. Was sie dadurch vor allem gelernt habe, erzählt sie, sei der Wert von aufmerksamem Zuhören. Diese Qualität von ihr erlebe ich an diesem ganzen Nachmittag – auch während einer Pause im Café Lass uns Freunde bleiben bei einem Ingwertee.

Weiter geht’s: Die neugotische Zionskirche, an der wir links abbiegen, war zu DDR-Zeiten ein Zentrum der Opposition und in den Dreißigerjahren Wirkungsstätte von Dietrich Bonhoeffer, der seinen Widerstand gegen die Nazis mit dem Tod bezahlte. Ob ich sein Buch „Gemeinsames Leben“ gelesen hätte, möchte sie wissen: „It’s powerful!“. Eine Besteigung des Zionskirchturms würde sich wegen der Aussicht lohnen, ist jedoch nur sonntagnachmittags möglich.

Zionskirche Berlin
Den Turm der Zionskirche kann man sonntags von 12 bis 18 Uhr besteigen. © Zoonar/ArTo/Alamy Stock Photos/mauritius images

Wir gehen die Veteranenstraße bergab und lassen den Weinbergspark, in dem bei milden Temperaturen vor lauter Menschen kaum noch ein Rasenstück zu sehen ist, links liegen. Rechts auf der Brunnenstraße schauen wir bei Super Super Markt vorbei, einer der jüngsten Galerien der Stadt. Sie funktioniert ähnlich wie ein Kunstverein mit jährlichen Beiträgen und Jahresgaben von jungen Kunstschaffenden. Demnächst werden hier Werke des amerikanischen Künstlerpaars Adrienne Maki & Omari Douglin präsentiert.

Elisabethkirche Berlin
Die Elisabethkirche wird von 15. April bis 4. Mai Kulisse für die Gruppenausstellung „I sougt my soul“. © Jürgen Frank

„In jedem Winkel steht ein Schinkel“  – diesen Berliner Spruch kannte Enuma Okoro noch nicht. Um ihn zu illustrieren, besuchen wir die klassizistische Elisabethkirche, vor der jetzt bald wieder der Flieder blüht. Der Bau wurde im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt und trägt in seinem beeindruckenden Inneren noch die Spuren der Zerstörung. Seit der Wiederherstellung wird die Kirche vor allem als Kulturort für Konzerte, Theater und Ausstellungen genutzt. In der Ackerstraße werfen wir einen Blick durch die Schaufenster der nur nach Vereinbarung geöffneten Galerie Michael Reid. Sie ist die einzige australische Galerie mit Standort in Europa und zeigt oft Werke der „First Nations“, der indigenen Völker Australiens, mit Malerei, aber auch Keramik oder Fotografie.

Eigen + Art präsentiert Nicola Samori mit Werken in Öl auf Onyx wie „Gestation of the Unbroken Disorder“, 2025.
Eigen + Art präsentiert Nicola Samori mit Werken in Öl auf Onyx wie „Gestation of the Unbroken Disorder“, 2025. © Courtesy Galerie Eigen + Art Berlin

Noch befinden wir uns in Noto (North of Torstraße), doch jetzt überqueren wir diese verkehrsreiche Schneise und schauen uns im südlich davon gelegenen Galeriendistrikt um. Eine heiße Schokolade in der Röststätte? Ein andermal. Hier ist die Dichte an Galerien so hoch, dass sie sich kaum alle an einem Tag besuchen lassen: Wir passieren die Linienstraße, wo ein Stück weiter westlich in den Hinterhöfen zum Beispiel Kuckei + Kuckei, der Hauptsitz von Neugerriemschneider und die Galerie Neu zu empfehlen wären oder weiter im Osten die Galerien rund um die Volksbühne. Wir biegen stattdessen rechts in die Auguststraße ein. Hier steuern wir, vorbei an dem exzellenten Zeitschriftenladen Do you read me?!, ein Urgestein des Viertels an: Die Galerie Eigen + Art, gegründet noch zu DDR-Zeiten in Leipzig, ist der wahre Mitte-Pionier und hat sich mit Neo Rauch und der Neuen Leipziger Schule einen Namen gemacht. Für Anfang Mai ist der italienische Künstler Nicola Samorì, Jahrgang 1977, angekündigt, der für seine barocken Motive altmeisterliche Techniken nutzt und auf polierte Steinplatten malt, sodass Geologie und Anatomie zu verschwimmen scheinen.

Restaurants, Galerien, Museen – auf der Auguststraße gibt es alles: Das Traditionslokal Clärchens Ballhaus ist glücklicherweise nach der Renovierung noch immer herrlich altmodisch und hat jetzt auf der Dessertkarte sogar Spaghettieis. (Diese geniale Erfindung kommt, wie der Chefkoch, aus Mannheim.) Auf derselben Straßenseite weist Enuma Okoro auf das House of Small Wonder in der ehemaligen Turnhalle der Jüdischen Mädchenschule hin, dort trifft sie sich am Wochenende gerne mit Freundinnen zum japanisch inspirierten Brunch. Wir gehen am Samurai Museum vorbei und betreten den kopfsteingepflasterten Hof des KW Institute for Contemporary Art, ab Juni wieder Hauptstandort der Berlin Biennale. Noch bis 4. Mai laufen hier drei interessante Ausstellungen: Wir beginnen ganz oben unter dem Dach mit der Sound-Installation der jungen französischen Künstlerin Jessica Ekomane, schließen die Augen und lassen die klickenden, piepsenden und stampfenden Geräusche auf uns wirken. Sung Tieu wirft mit ihren schwebenden Möbeln Fragen zum Thema Heimat auf. Und im untersten Geschoss nehmen wir intensive Eindrücke aus Matt Copsons opernhafter Lasershow mit, der ersten institutionellen Einzelausstellung des jungen Londoner Künstlers.

Matt Copsons
Matt Copsons opernhafte Schau „Coming of Age (Trilogy)“, 2020–2025, läuft bis 4. Mai im KW Institute for Contemporary Art. © Frank Sperling/Courtesy der Künstler, Lodovico Corsini, Brüssel und High Art, Paris

Um zu Sprüth Magers zu gelangen, der letzten Galerie auf unserer Tour, spazieren wir durch die idyllischen Heckmann-Höfe und an der Oranienburger Synagoge mit ihrer goldglänzenden Kuppel vorbei. Die Galerie, deren größter Raum ein ehemaliger Ballsaal ist, präsentiert zum Gallery Weekend neue Arbeiten des französischen Video- und Performancekünstlers Cyprien Gaillard sowie Werke des Essener Bildhauers Michail Pirgelis, der sein Material auf einem amerikanischen Flugzeugschrottplatz in Arizona findet. Anschließend hat Enuma Okoro noch einen Wunsch: der nahe gelegenen Sophienkirche einen Besuch abzustatten. Der Grundstein der Kirche wurde 1712 gelegt, aber meine Begleitung erinnert mich jetzt an ein anderes historisches Ereignis: 1964 kam Martin Luther King überraschend nach Ostberlin und hielt hier auf der Kanzel eine Predigt, prangerte in der übervollen Kirche die „trennende Mauer der Feindschaft“ an und teilte seinen Traum von Freiheit.

Service

ENUMA OKORO

Die nigerianisch-amerikanische Schriftstellerin, Rednerin und Kuratorin beschäftigt sich mit den Schnittstellen von Kunst, Philosophie, Spiritualität und Ökologie. „The Art of Life“ heißt ihre Kolumne in der Financial Times. Letztes Jahr hat sie die Ausstellung „The Flesh of the Earth“ bei Hauser & Wirth in New York kuratiert. Sie lebt in Berlin und New York.

GALLERY WEEKEND BERLIN

Öffnungszeiten:

2 Mai: 18-21 Uhr, 3 Mai: 11-19 Uhr, 4 Mai: 11-18 Uhr

gallery-weekend-berlin.de

Zur Startseite

OSZAR »